3D-Computermodelle sollen die Behandlung von Lebererkrankungen verbessern
Von Melanie Bergs und Gesa Terstiege
Mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Lebererkrankung. Im schlimmsten Fall kann diese zu einer lebensbedrohlichen Leberzirrhose oder Leberkrebs führen. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie ist daher essentiell. Forscherinnen und Forscher aus Bremen entwickeln dreidimensionale Computermodelle des Organs entwickelt. Dabei werden sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. Mithilfe der Computermodelle sollen die Diagnose und die Behandlung von Lebererkrankungen künftig deutlich verbessert werden – und das sogar maßgeschneidert für jeden einzelnen Patienten.
Die Leber ist die große Stoffwechselfabrik des Körpers: Sie entgiftet das Blut, stellt lebenswichtige Proteine her und speichert Vitamine. Beim Menschen fließen allein in einer Stunde rund 90 Liter Blut durch das Organ. Wenn ein Patient eine Tablette schluckt, gelangt der Wirkstoff vom Darm über das Blut direkt in die Leber. Ist diese jedoch geschädigt, wird es für den Arzt schwierig, die Aufnahme und damit die Wirkung des Medikaments abzuschätzen. Im schlimmsten Fall kann es bei einer Überdosierung zu einer toxischen Reaktion, also einer Vergiftung, kommen.
Doch was wäre, wenn die Wirkung des Medikaments bereits vorher getestet werden könnte – an einer individuell vermessenen, „virtuellen Leber“ eines Patienten? Und was, wenn der Arzt anhand dieser „virtuellen Leber“ sogar voraussagen könnte, ob das Organ ohne die richtige Behandlung einen Tumor entwickeln würde? Diese Fragen könnten mit einem neuen dreidimensionalen Computermodell in Zukunft beantwortet werden. Die Vision der Forscher: Virtuelle Modelle liefern, maßgeschneidert für den einzelnen Patienten, sowohl Informationen über die jeweilige Medikamentenwirkung als auch über den Verlauf der jeweiligen Lebererkrankung.
Zentrale Leberfunktionen simuliert
Forscher des Fraunhofer-Instituts für Bildgestützte Medizin MEVIS in Bremen haben gemeinsam mit Experten des Universitätsklinikums Aachen und Bayer Technology Services ein solches Modell entwickelt. Dafür wird das fein verästelte Gefäßsystem der Leber rekonstruiert. Die eigentlichen Stoffwechselprozesse laufen in den vielen Millionen Leberzellen ab, die von diesen Gefäßen versorgt werden. Um diese Prozesse zu simulieren, wird die Leber in rund 50.000 virtuelle Würfel unterteilt, wobei jeder Würfel das Verhalten von mehreren Tausend Zellen zusammenfasst.
„Die bislang verwendeten Computermodelle betrachten die Leber nur als Ganzes“, sagt Projektleiter Professor Tobias Preusser von MEVIS. „Unser Verfahren kann simulieren, was im Inneren eines Organs tatsächlich passiert.“ So lassen sich die Blutströme und Stoffwechselreaktionen in der Leber detailliert nachverfolgen. Es lässt sich beispielsweise genau beobachten, was passiert, wenn ein Wirkstoff mit dem Blut in die Leber kommt und dort verstoffwechselt wird – sowohl in einer gesunden als auch in einer verfetteten oder anderweitig geschädigten Leber.
Krankheitsverlauf früher erkennen
„Unsere Technik hat das Potenzial, zu einem nützlichen Forschungswerkzeug für die Medikamenten-Entwicklung zu werden“, sagt Preusser. In der Praxis könnte das künftig so aussehen: Die Leber eines betroffenen Patienten wird mittels MRT individuell vermessen. Diese hoch aufgelösten dreidimensionalen Bilddaten werden anschließend in ein Computermodell der Patienten-Leber übertragen. In der Pharmaforschung ließe sich dieses Verfahren auch für charakteristische Patientengruppen nutzen. Die Einsatzmöglichkeiten der Methode gehen jedoch über eine Unterstützung bei der Medikamenten-Entwicklung hinaus.
Die Arbeiten aus der Fördermaßnahme „Die Virtuelle Leber“ werden nun im aktuell angelaufenen Forschungsnetz „LiSyM“ fortgesetzt. Die Modelle sollen für die Anwendung in der medizinischen Praxis weiterentwickelt werden. Die Forscher wollen die Methode auf weitere Krankheitsbilder übertragen und präzisere Diagnosen von Lebererkrankungen ermöglichen. „Unsere Modelle sollen künftig auch Vorhersagen zum individuellen Krankheitsverlauf des Patienten liefern, um früher therapeutisch eingreifen zu können“, erklärt Preusser.
Die Computermodelle der MEVIS-Forscher kommen schon jetzt weltweit bei der Planung chirurgischer Eingriffe an der Leber zum Einsatz. Bei einer Lebertransplantation oder der Entfernung eines Tumors ist es essentiell zu wissen, wie der Blutgefäßbaum in der Leber aussieht. „Mithilfe der Modelle wird auf Basis von CT-Bildern eines Patienten vorab bestimmt, wie die individuelle Gefäßstruktur aussieht und wo Chirurgen Schnitte setzen dürfen, ohne funktionsfähige Teile der Leber von der Blutversorgung abzutrennen“, so Preusser. „Durch eine derartig personalisierte OP-Planung können die Risiken für den Patienten minimiert werden.“