Biologisch gesehen unterscheiden sich weibliche Zellen deutlich von männlichen und folgen ganz anderen Mechanismen. Die Nachwuchsgruppenleiterin Edda Schulz will diese Unterschiede verstehen und setzt dabei auf die Sprache der Mathematik.
Von Katharina Kalhoff und Gesa Terstiege
Wenn der weibliche Embryo erst wenige Tage alt ist, treffen die Zellen bereits weitreichende Entscheidungen, in dem sie eins ihrer X-Chromosomen für den Rest des Lebens abschalten. „Das können nur Frauen“, sagt Edda Schulz vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin und lacht. „Was so einfach klingt, ist in Wirklichkeit aber natürlich viel komplizierter. Eine Zelle hat keinen Schalter, den sie einfach umlegen kann. Jeder Prozess besteht aus einer Vielzahl von umkehrbaren biochemischen Reaktionen“. Wenn man ihr länger zuhört versteht man schnell, dass sie einen Einblick in eine unglaublich faszinierende aber auch komplexe Welt hat, die sich mit unserer normalen Sprache schwer beschreiben lässt. Ihre Sprache ist die der Mathematik. „Moderne Biowissenschaften sind quantitativ und mathematische Modelle ermöglichen uns, die Vorgänge in den Zellen zu verstehen“, so Schulz.
BMBF-Nachwuchsgruppe war eine einmalige Chance
Ihre Begeisterung für ein möglichst exaktes Verständnis der Natur hat die Biochemikerin früh entwickelt. Ihren heutigen Forschungsschwerpunkt, die X-Chromosomen, hat sie nach der Promotion gefunden. „Mich hat fasziniert, wie die Zellen von Frauen eins ihrer X-Chromosomen ausschalten können, wo doch beide Chromosomen den gleichen Reaktionen und Signalen ausgesetzt sind“, erklärt Schulz. Auf dem X-Chromosom liegen ganze fünf Prozent des menschlichen Genoms, die für das Immunsystem und andere zentrale Funktionen verantwortlich sind. „Wären beide Chromosomen bei Frauen aktiv, könnte der Embryo sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickeln, deshalb schalten die Zellen frühzeitig eins der beiden X-Chromosomen ab“, sagt Schulz. Die Auswahl für das aktive Chromosom ist dabei zufällig. Es gibt also Zellen, in denen das X-Chromosom des Vaters aktiv ist und andere, in denen das der Mutter aktiv ist. Das ist auch der Grund, warum genetische Erkrankungen wie die Bluterkrankheit oder Farbenblindheit, deren Ursache defekte Gene auf dem X-Chromosom sind, bei Frauen keine Symptome zeigen. Frauen haben im Gegensatz zu Männern immer noch ausreichend Zellen mit der gesunden Genvariante.
Um diese komplexen Vorgänge besser zu verstehen, kombiniert die Biochemikerin in ihrer Arbeitsgruppe Laborexperimente mit mathematischen Modellen. Durch die vom BMBF mit über einer Million geförderte Nachwuchsgruppe konnte die Berlinerin frühzeitig eine eigene Arbeitsgruppe aufbauen und ihre eigenen Fragestellungen verfolgen. „Das e:Bio-Programm vom BMBF war eine einmalige Gelegenheit für mich. Eigentlich war ich damals gerade in Elternzeit. Um mich dennoch bewerben zu können, ist meine Mutter einen Tag in der Woche vorbeigekommen und hat auf das Baby aufgepasst“, erzählt die 41-Jährige. Mittlerweile ist sie Mutter von zwei Kindern und geht weiter erfolgreich ihren Weg in der Forschung. Die BMBF-Förderung läuft in den nächsten Monaten aus, aber im vergangenen Jahr konnte die Forscherin eine prestigeträchtige Förderung des Europäischen Forschungsrats (ERC-Grant) einwerben und sich im kompetitiven Verfahren um eine Lise-Meitner-Gruppenleiterinnenstelle durchsetzen. Mit diesen Stellen fördert die Max-Plank-Gesellschaft Frauen in der Wissenschaft.
Kein Mathe zu können ist noch immer gesellschaftsfähig
Auf Gruppenleitungsebene gibt es unter anderem dank solcher speziellen Förderprogramme mittlerweile einige Frauen, aber Institutsdirektoren sind bislang meistens Männer. „Während meiner Postdoc-Zeit in Paris habe ich andere Erfahrungen gemacht. In Frankreich sind Frauen in der Forschung gleichberechtigter“, erklärt Schulz. „Neben kulturellen Unterschieden steht auch unser akademisches System der Chancengleichheit im Weg. Es bietet wenig Sicherheit und erfordert oft Mobilität. In Deutschland besteht in jedem Fall der Wille, hier etwas zu ändern, wovon ich auch schon profitiert habe“.
Die nächsten Jahre will sich die Wissenschaftlerin weiterhin den grundlegenden Mechanismen der Zellen widmen und noch besser verstehen, welche Besonderheiten es bei den X-Chromosomen gibt. Dafür setzt ihre Arbeitsgruppe auf Datenanalyse und mathematische Modelle. Die darauf beruhenden Computersimulationen erlauben ihnen, Vorhersagen zu treffen, die sich experimentell überprüfen lassen. Sätze wie „Mathe konnte ich noch nie“ machen sie deshalb wütend. „Es ist ein Problem für unsere Gesellschaft, wenn es in Ordnung ist, kein Mathe zu können, man aber schief angeguckt wird, wenn man zugibt, dass man Goethe nicht gelesen hat“, kritisiert Schulz. Neben ihrer Forschungstätigkeit ist die Biochemikerin auch in der Lehre aktiv und stellt dort fest, dass es noch häufig einen Mangel an Kursen zu Datenanalyse oder Programmierung gibt. Jungen Menschen möchte sie mit auf den Weg geben, sich frühzeitig mit diesen Themen zu beschäftigen – das gilt für Männer und Frauen.